Jedes Jahr strömen tausende ausländische Freiwillige nach Kambodscha, angetrieben von der Absicht zu helfen. Viele von ihnen engagieren sich in Waisenhäusern, die jedoch zunehmend als Kulisse für den Waisentourismus dienen – ein trauriges Geschäft, bei dem Kinder für die Bedürfnisse ausländischer Touristen ausgenutzt werden.
Die Organisation SISHA hat erschütternde Fakten über diese Einrichtungen ans Licht gebracht: Dreiviertel der Kinder in Kambodschas Waisenhäusern haben mind. einen lebenden Elternteil, und die Hälfte dieser Einrichtungen ist nicht einmal offiziell registriert. Über 500 solcher Institutionen existieren im Land, beherbergen mehr als 10.000 Kinder und spiegeln oft die Armut der Familien wider. 1) Die Entscheidung, Kinder in Waisenhäuser zu geben, resultiert oft aus wirtschaftlicher Not. Die in Kambodscha weitverbreitete Annahme, dass Kinder in Waisenhäusern bessere Bildungschancen hätten und Englisch lernen könnten, fördert diesen Trend. Diese falsche Überzeugung belastet jedoch Familien und Kinder und legt die Verantwortung für den Familienaufstieg auf die Schultern der Kinder, die so ihre eigene Lebensbahn zerstört sehen. Kinder mit Behinderungen landen auch oft in Waisenhäusern, da ihre Familien glauben, dass diese besser ausgerüstet sind, sich um sie zu kümmern. 2) Insgesamt ist Armut der Hauptgrund für die Verlagerung von Kindern in Waisenhäuser, nicht die Unfähigkeit ihrer Eltern, sich um sie zu kümmern. Die emotionalen Belastungen für die Kinder selbst sind beträchtlich. Sie sollen ihre Verletzlichkeit zeigen und kontinuierliche Freude über die Besucher in ihrem Zuhause ausdrücken. Einige Kinder werden sogar angewiesen, die Besucher als „Mama“ und „Papa“ anzusprechen, um emotionale Reaktionen zu verstärken. Die Leiter der Waisenhäuser fungieren als „emotionale Aufseher“, um sicherzustellen, dass die Kinder entsprechend handeln, hohe Spenden erhalten und den Besuchern nicht von den Missbräuchen berichten. Die Kinder sind konditioniert, sich von jedem umarmen zu lassen, was sie in einen gefährlichen Pfad führt, insbesondere da etwa 22% der Touristen in Kambodscha den Sex-Tourismus aufsuchen, wodurch Kindersex-Tourismus bedauerlicherweise in dieses Bild eingebettet ist. 3)
Trotz gut gemeinter Spenden werden die Kinder als Attraktion benutzt, um Geld von Touristen zu sammeln. Waisenhaus-Voluntourismus hat sich in Kambodscha unter Touristen etabliert, die während ihrer Reisen „etwas zurückgeben“ wollen. Die meisten Waisenhäuser werden nicht vom Staat geführt, sondern finanzieren sich vollständig durch Gebühren und Spenden von Freiwilligen und anderen Touristen. Die gespendeten Gelder werden in der Regel in bar geleistet und werden dann unverfolgbar und in Korruption verstrickt. Ein Bericht deutete darauf hin, dass Ausländer bis zu 7000 Dollar an einen Waisenhausdirektor übergeben, ohne eine Quittung oder Hinweise darauf zu erhalten, wohin die Mittel fließen werden. Die mangelnde Transparenz bezüglich des Geldflusses führt dazu, dass nur ein geringer Teil der gesammelten Gelder den bedürftigen Kindern tatsächlich zugutekommt. 4) Zeugnisse von Kindern, die in Waisenhäusern gelebt haben, verdeutlichen den Mangel an Ressourcen, indem sie berichten: „Wir hatten nie genug zu essen“. Ein weiteres Problem beim Voluntourismus besteht daran, dass die Freiwilligen selbst über keine anwendbaren Fähigkeiten für die Arbeit mit Kindern verfügen und keine ausreichende Schulung erhalten. 5)
Die Trennung von Eltern und beengte Lebensbedingungen prägen die Kinder nachhaltig. UNICEF warnt vor langfristigen Auswirkungen, insbesondere Attachment-Problemen: „Ein neuer Freiwilliger spielt mit ihnen, überschüttet sie mit Zuneigung und verlässt sie dann wieder sehr schnell.“ Die Kinder sind mit niemandem wirklich verbunden. Organisationen wie SISHA setzen sich dafür ein, die Zusammenarbeit mit Behörden zu stärken und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Verantwortungsbewusstes Volunteering und Tourismus sind Schlüssel zur Verbesserung. Organisationen wie Friends International und Cambodian Children’s Trust (CCT) spielen eine entscheidende Rolle. CCT hat sich vom herkömmlichen Waisenhaus zu einem Konzept namens Village Hive entwickelt, das darauf abzielt, Kinder zu schützen, indem es Familien stärkt und lokale Selbstbestimmung fördert. 6)
Gemeinsames Handeln und nachhaltige Lösungen sind entscheidend, um die Zukunft dieser Kinder zu verbessern und den Waisenhaustourismus zu beenden. Die Situation in Kambodscha erfordert ein Umdenken im Umgang mit dem Waisentourismus. Die Zukunft dieser Kinder hängt von unseren Fähigkeiten ab, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen und nachhaltige Veränderungen zu fördern.
- Das Erste: Kambodscha Waisen, die keine sind; veröffentlicht am 15.04.2014 ↩
- Spiegel: Wie angebliche Waisenhäuser Kinder und Touristen ausbeuten; veröffentlicht am 10.04.2019 ↩
- ASEAN Studies Center: Orphanages and their volunteers a look at Cambodia’s orphanage voluntourism industry; veröffentlicht am 18.12.2019 ↩
- Die Welt: Voluntourismus – Ausbeutung oder gute Tat?; veröffentlicht am 12.07.2014 ↩
- Move to Cambodia: Volunteering in Cambodia; zuletzt aktualisiert in 2022 ↩
- Cambodian Children’s Trust: Our Story; zuletzt aktualisiert in 2023 ↩