Vidomègon ist ein weit verbreitetes Sozialsystem in Westafrika. Seinen Ursprung hat es in Benin. Jedem dort ist der Begriff bekannt. Ins Deutsche übersetzt bedeutet das Wort „Pflegekind“. Die beninische Regierung definiert jedes Kind, das außerhalb seiner Herkunftsfamilie lebt und bei einer dritten Familie untergebracht ist, als Vidomègon, wörtlich „Kind bei jemandem“. Das System ist traditionell kein staatliches, sondern ein gesellschaftliches. Hat eine Familie nicht genug Mittel alle Mitglieder zu versorgen, werden ein oder mehrere Kinder zu wohlhabenderen Verwandten oder Freunden gegeben. So werden bessere Bildungschancen und eine gesunde Ernährung möglich. „Das ist ein gutes System und es existiert schon immer“, erzählt ein beninischer Pastor. Doch vor allem seit den Dürren und Wirtschaftskrisen in den 90er Jahren wurde das Prinzip mehr und mehr zu einem kommerziellen Markt, der unter anderem von Menschenhändlern kontrolliert wird. 1)
Es ist Tradition, dass Kinder im Haushalt helfen und ab einem gewissen Alter die Arbeit nur noch mit wenig Unterstützung der Eltern beziehungsweise Pflegeeltern machen. Auch ist es traditionell, dass Beniner früh aufstehen und oft noch vor Sonnenaufgang den Tag beginnen. Ganz nach dem Motto: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Seit das System der Arbeit von Kindern jedoch kommerzialisiert wurde, häufen sich Ausbeutung und Missbrauch. Oft steht das Wohl des Kindes nicht im Vordergrund. Anstatt in die Schule zu gehen, müssen Millionen Kinder arbeiten.
Das Mindestalter für die Aufnahme einer Beschäftigung liegt in Benin bei 14 Jahren. Das entspricht dem internationalen Standard. Dennoch arbeitet knapp ein Viertel der beninischen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren. Ein Sechstel von ihnen kombiniert Arbeit und Schule. Zusammen mit den älteren Kindern steigt die Zahl der minderjährigen Arbeiter auf über 52 Prozent. Knapp die Hälfte ist gefährlichen Bedingungen ausgesetzt. 2) 3)
Pflegekinder, verkaufte Kinder und sonstige Minderjährige aus Familien mit zu wenig Geld sind betroffen. In Benin sind sie in allen drei Sektoren – in der Landwirtschaft, in der Industrie und im Dienstleistungssektor – beschäftigt. Konkret arbeiten sie zum Beispiel in der Produktion von Baumwolle und in der Viehzucht, in Granitminen und auf dem Bau, im Haushalt und auf der Straße, wo sie überwiegend verschiedene Produkte verkaufen oder betteln. Einige der von beninischen Kindern ausgeübten Tätigkeiten zählen gemäß der Konvention Nr. 182 der Internationalen Arbeiterorganisation (ILO) zu den schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Genannt seien die Arbeit in Steinbrüchen, der Handel mit Drogen und gewerbliche sexuelle Ausbeutung. Auch Menschenhandel ist ein Thema. Innerhalb Benins und über dessen Grenzen hinaus werden Kinder verkauft. Die Preise pro Kind liegen zwischen 45-80 EUR. Oft werden Familien angelogen und nicht über die wahren Bedingungen der Zukunft der Kinder informiert. Manchmal werden Kinder ohne Zustimmung der Eltern mitgenommen. 2) 4)
Die Republik Benin hat alle entscheidenden Abkommen hinsichtlich Kinderarbeit ratifiziert. Darunter beispielsweise auch die oben genannte ILO-Konvention und das Palermo-Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels.
Die beninische Regierung bemüht sich, gesetzliche Rahmenbedingungen zu stärken und deren Vollzug zu bewirken. 2021 wurden 1.015 Inspektionen durchgeführt, bei denen 620 Verstöße von Kinderarbeit gefunden wurden. Zudem gibt es beispielsweise ein „Nationales Komitee zur Bekämpfung von Kinderarbeit“ und eine 24-Stunden Hotline für Betroffene. Doch die Zahlen bleiben besorgniserregend. Das Engagement muss weitergehen und intensiviert werden. 2)
Im Frühjahr wurde eine viermonatige Kampagne zum Thema „Null Toleranz für die schlimmsten Formen der Kinderarbeit: Nein zur Arbeit von Kindern unter 14 Jahren – Ja zu qualitativ hochwertiger Bildung“ veranstaltet. Ziel war es unter anderem das Bewusstsein der Bevölkerung zu stärken. Denn die Grenzen zwischen Tradition und Ausbeutung können verschwimmen. 5)
Zahlreiche arbeitende Kinder akzeptieren ihre Situation und werden ihre Tätigkeiten auch nach der Volljährigkeit weiter machen. Albertine, ein betroffenes Mädchen, sagt in einem Interview: „ Ich habe zugestimmt, mit 13 Jahren an einen Herrn verkauft zu werden, um die Lebensbedingungen meiner Familie zu verbessern.“ Sandra argumentiert: „Weil der Verkauf von Tomaten seit meinem siebten Lebensjahr mein Beruf ist, möchte ich ihn nicht ändern.“ 6)
Die beninische Politik und Zivilgesellschaft steht in der Verantwortung Kinder zu schützen und die Durchsetzung ihrer Rechte herbeizuführen. Unternehmen und Freiberuflern ist es nicht erlaubt, Kinder anzustellen, zu missbrauchen oder zu verkaufen.
Baumwolle ist das Haupt-Exportgut Benins. Lasst uns in Deutschland und der Welt darauf achten, keine Produkte mit Baumwolle aus Kinderhand zu kaufen. Labels wie zum Beispiel „Cotton made in Africa“ können uns dabei helfen. Cotton made in Africa ist ein international anerkannter Standard für nachhaltige Baumwolle. Zusätzlich werden durch Lizenzverträge Einnahmen generiert, die dann vor Ort reinvestiert werden. Ein Rückgang der weltweiten Kinderarbeit ist möglich! Tragt ebenso dazu bei, mit bewusstem Konsum und Bildung. 7)
- Présidence de la République du Bénin: Portant code de l’enfant en République du Bénin; Bekanntgabe vom 08.12.2015 ↩
- U.S. Department of Labor: Benin: Child Labor and Forced Labor Reports; Ergebnisse von 2021 ↩↩↩
- UNICEF: Benin – Le Travail des Enfants; Artikel vom 26.04.2020 ↩
- ILO: C182 – Worst Forms of Child Labour Convention, 1999 (No. 182); verabschiedet 1999 ↩
- Le Matinal: Exploitation économique des enfants: La campagne „Tolérance zéro au travail des enfants“ lancée; Artikel vom 17.04.2023 ↩
- Le Monde Afrique: Au Bénin, l’exploitation des « enfants placés », entre maltraitance et violences sexuelles; Artikel vom 13.04.2021 ↩
- Die Bundesregierung: Siegelklarheit – Cotton made in Africa ↩