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Kinderehen – Ja sagen zum Missbrauch

Zwangsheirat |  Bild: Jeden Tag werden allein in Deutschland mehrere Mädchen zur Heirat gezwungen. © Webphoto99 [Royalty Free]  - Dreamstime.comZwangsheirat

| Bild: Jeden Tag werden allein in Deutschland mehrere Mädchen zur Heirat gezwungen. © Webphoto99 [Royalty Free] - Dreamstime.com

Cennet Krischak ist 13 Jahre alt als sie zwangsverheiratet wird. Die Türkin, die zu diesem Zeitpunkt mit ihren Eltern in Deutschland lebt, erinnert sich daran, dass ihre Mutter plötzlich zu ihr sagte, sie werde ihren 25-jährigen Cousin heiraten. Das war an einem Mittwoch, am Samstag darauf wird die Ehe vollzogen. Sie kann sich kaum mehr an die Zeremonie erinnern, fühlt sich wie eingefroren. In der Hochzeitsnacht wird sie entjungfert. Im Raum über ihnen warten ältere Verwandte, denen sie danach das blutige Tuch ihrer Entjungferung zeigen muss und deren Hände küssen muss. Sie fühlt sich beschämt und ohnmächtig. Kurz darauf wird Cennet schwanger. Ihr Mann sagt, sie darf nicht mehr mit ihrer Familie sprechen und keinen Kontakt mehr zu Freunden haben. Sie wird zuhause eingesperrt, darf nicht einmal mehr lachen, ihr Mann verbietet es. 1)

Das Kind kommt, als sie 14 Jahre alt ist. Aufgrund der verfrühten Geburt hat sie innere Blutungen und muss viele Antibiotika schlucken. Ihr Mann nimmt ihr die Tochter mit 11 Monaten weg, schickt die Kleine in die Türkei zu seinen Verwandten. Der Schmerz in Cennet ist groß. Sie bekommt zunehmend Depressionen, hat Suizidgedanken. Ihr Mann schickt sie deswegen irgendwann zu einer Untersuchung in die Psychiatrie. Der behandelnde Arzt jedoch hört sich ihre Geschichte an und sagt, dass nicht sie die psychisch Kranke ist, sondern ihr Mann. Jeder gesunde Mensch würde so auf derartige Peinigungen reagieren. Das gibt ihr Hoffnung und sie will sich scheiden lassen. Es wird ein Familienrat einberufen. Cennet bringt eine Waffe mit und sagt, wenn sie sich nicht scheiden lassen kann, will sie erschossen werden. So wolle sie nicht weiterleben. Somit schafft sie es, den Familienrat von der Scheidung zu überzeugen. Ihr Mann erwirkt im Nachhinein sogar noch, dass ihr das Sorgerecht für die Tochter entzogen wird. Sie sieht keine andere Wahl als mit dem Auto von einem Berg zu fahren um sich das Leben zu nehmen, hält aber in letzter Sekunde inne und macht es doch nicht, beschließt einen Neuanfang. 1)

Weltweit werden schätzungsweise 33.000 Mädchen täglich zwangsverheiratet. Nach Angaben der UN wird jedes fünfte Mädchen weltweit vor ihrem 15. Lebensjahr verheiratet. Dies hat negative Folgen auf deren Gesundheit, Bildungs- und Verdienstchancen. Die Müttersterblichkeit ist bis zum 19. Lebensjahr um ein Drittel höher als bei Frauen, die zwischen 20 und 24 Jahre alt sind. Die Ironie dabei ist, dass Familien die Verheiratung ihrer Töchter oft damit begründen, dass sie so besser vor sexueller Gewalt geschützt seien. 2) Es sind jedoch nicht nur Mädchen von Zwangsheirat betroffen. Auch Jungen werden manchmal zwangsverheiratet – die Zahlen sind jedoch wesentlich geringer. Der Grund für eine Zwangsheirat bei Jungen ist oft, um sie zu disziplinieren. Dabei wird den Jungen nach der Heirat aber mehr Unabhängigkeit zugesagt. Sie dürfen im Gegensatz zu den Mädchen ihre Ausbildung beenden und sie haben generell mehr Bewegungsspielräume. Unter den Folgen einer Zwangsheirat leiden eher die Mädchen, da bei ihnen das Risiko misshandelt und sexuell genötigt zu werden höher ist. 3)

Oft spielt Armut eine große Rolle, weshalb Eltern ihre Kinder zwangsverheiraten. In manchen Regionen erhalten die Eltern, wenn sie ihre Tochter einem Mann zur Heirat anvertrauen, eine hohe Mitgift, mit der sie das Überleben der Familie für einen langen Zeitraum sichern können. Laut der Studie „Vows of Poverty“ ist in 26 Ländern eine Zwangsehe für Mädchen wahrscheinlicher als ein weiterführender Schulbesuch. Diese Länder sind Tansania, Afghanistan Sierra Leone, Elfenbeinküste, Madagaskar, Äquatorialguinea, Bangladesch, Mauretanien, Senegal, Guinea-Bissau, Eritrea, Uganda, Nigeria, Malawi, Libyen, Mali, Angola, Guinea, Äthiopien, Mosambik Burkina Faso, Somalia, Südsudan, Zentralafrikanische Republik, Tschad und Niger. 4).

Wie schon erwähnt, ist jedoch auch Deutschland betroffen. Schätzungsweise wird in Deutschland pro Woche eine Minderjährigen-Ehe geschlossen, und das obwohl es seit 2017 ein Gesetz dagegen gibt, in dem das Mindestalter zur Heirat 18 Jahre betragen muss. Ein Großteil der Zwangsverheiratungen findet in Familien mit Migrationshintergrund statt. Deshalb sieht das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vor, dass Ehen die im Ausland geschlossen wurden von einem Richter aufgehoben werden, wenn die minderjährigen Partner bei der Hochzeit 16 oder 17 Jahre alt waren. Eheschließungen unter 16 Jahren sind sogar generell unwirksam. Das Problem ist, dass viele Behörden nicht wissen, wie sie das Gesetz umsetzen können. Die Organisation Terre des Femmes hat im Jahr 2019 eine Studie durchgeführt, in der berichtet wird, dass seit Inkrafttreten des Gesetzes bis zu diesem Zeitpunkt 813 Ehen mit Minderjährigen geschlossen wurden und nur zehn davon wieder annulliert wurden. Außerdem wird davon ausgegangen, dass die Dunkelziffer hoch ist, da die Ehen oft nicht mit staatlichem Sigel geschlossen werden. Es reicht oft, die Zeremonie vor einer großen Anzahl von Zeugen zu schließen und die Braut dann in das Haus des Mannes zu bringen. Viele Bundesländer führen keine Statistiken zu Kinderehen. Manchmal kommt die Problematik erst ans Licht wenn zum Beispiel die Geburt eines Kindes im Standesamt registriert wird und die Mutter noch minderjährig ist. Eigentlich könnten viele Betroffene in Deutschland ihre Ehen annullieren. Dies wird jedoch selten gemacht – die Kinder kennen oft ihre Rechte nicht und haben Angst, die Familienehre zu verletzen. 5)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Alpha & Omega: Zwangsehe: Wenn Kinder heiraten müssen; 17.06.2022
  2. Zeit Online: Weltweit 33.000 Mädchen verheiratet – pro Tag; 29.06.2020
  3. Zwangsheirat NRW: Infos zu Zwangsheirat; Stand 05.10.2022
  4. Care: Zwangsheirat und Zwangsehe; Stand 05.10.2022
  5. Focus Online: In Deutschland leben Hunderte Mädchen in Kinderehen – ihr stilles Leid lässt sich lindern; 05.10.2021



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