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Fernab des Gesetzes: Kinder geraten verstärkt in die kriminellen Machenschaften um Vanille

Madagassischer Mann und Kinder im Vanilledorf in NordmadagaskarNach der Ernte werden die wertvollen Vanilleschoten an der freien Luft getrocknet und auf den Weiterverkauf vorbereitet. |  Bild: Madagassischer Mann und Kinder im Vanilledorf in Nordmadagaskar © Paop | Dreamstime.com [Royalty Free]  - dreamstime.comMadagassischer Mann und Kinder im Vanilledorf in Nordmadagaskar

Nach der Ernte werden die wertvollen Vanilleschoten an der freien Luft getrocknet und auf den Weiterverkauf vorbereitet. | Bild: Madagassischer Mann und Kinder im Vanilledorf in Nordmadagaskar © Paop | Dreamstime.com [Royalty Free] - dreamstime.com

Wer sich über holprige Landstraßen und durch die dichte Vegetation in die abgeschiedene Provinz Sava an der madagassischen Nordküste vorwagt, begibt sich in königliche Gefilde. Denn hier liegt die Residenz der „Königin der Gewürze“, der Vanille. Rund 80 Prozent der jährlich global gehandelten Erzeugnisse aus den fermentierten Kapselfrüchten entstammt dem abgeschiedenen Hinterland Madagaskars. Und während hierzulande der kalte, stürmische Winter langsam dem nahenden Frühling weicht und der Liebhaber der aromatischen Vanillenote von Vanillekipferl auf Vanilleeis umsteigt, haben die Vorbereitungen für die kommende Ernte in Madagaskar längst begonnen. Mittendrin in den Machenschaften um die wertvolle Pflanze sind dabei häufig Kinder – rund 20.000 von ihnen fungieren als minderjährige Arbeitskräfte und üben dabei ebenso fordernde wie riskante Tätigkeiten aus. 1) 2)

Der Anbau der profitablen Vanille-Orchideen, von denen es rund 40 Millionen auf Madagaskar gibt, erfordert aufgrund des enormen Aufwands und der notwendigen Sorgfalt weitreichende Kenntnisse über das Handwerk. Denn da die Pflanze ursprünglich in Mittelamerika heimisch ist, müssen die meisten Blüten nach dem initialen drei- bis vierjährigen Reifeprozess nach der Aussaat manuell bestäubt werden. Eine nicht besonders schwierige, jedoch enorm zeitintensive Aufgabe, die in den meist kleinbäuerlichen Betrieben der Region zur Aufgabe für die gesamte Familie wird. 1)

Gerade Kinder erweisen sich hier als effektive Hilfskräfte, um die Pflanzen zu bewachen und zu befruchten. Dafür stehen sie meist ab dem Morgengrauen für sechs bis sieben Stunden täglich auf den Feldern – und das die gesamte Woche über. Denn die Blüten der Vanillepflanze öffnen sich nur einmalig für wenige Stunden jedes Jahr – den richtigen Zeitpunkt zu verpassen, wäre daher fatal für das Geschäft der Bauern. Aber damit ist ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen, denn in den kommenden Monaten bis zur Ernte müssen die meist 5- bis 15-Jährigen ebenfalls häufig Hand anlegen. Im Reifungsprozess müssen die Schoten kontinuierlich kontrolliert und regelmäßig gewartet werden, wobei sehr sorgfältig und vorsichtig gearbeitet werden muss. Um die Vanille während dieser Phase in einem möglichst idealen Zustand zu halten, wird verstärkt mit scharfen Gerätschaften hantiert, um potenzielle Schädlinge und Unkraut auszumerzen, womit ein zusätzliches Risiko für die Kinder einhergeht. Die intensivste und gefährlichste Phase beginnt allerdings erst mit der Erntezeit ab etwa Juni, in der die Kinder zumeist lange Arbeitstage unter extremer Hitze erleben, wobei sie sich vornehmlich mit dem enormen Gewicht beim Herumtragen der geernteten Vanille abplagen müssen. Auch beim darauffolgenden Aushärtungsprozess der Schoten, der für gewöhnlich ein halbes Jahr in Anspruch nimmt, sind die Kinder täglich involviert, wobei sie erneut unter der prallen Sonne und unter Einsatz giftiger Chemikalien diverse Arbeitsschritte sorgfältig und fehlerlos ausführen müssen – Tag für Tag. Die meisten von ihnen verpassen dabei weite Teile des Schulunterrichts, sofern ihnen überhaupt ein Zugang zu Bildung ermöglicht wird. Denn viele Familien der Region sind trotz des profitablen Handels mit Vanille auf dem Weltmarkt weiterhin von enormer Armut geprägt. Für viele der Kleinbauern ist die Einbindung ihrer Kinder im familiären Arbeitsumfeld daher unausweichlich, denn sie benötigen beträchtliche Arbeitskraft, um neben dem kommerziellen Anbau der Vanille ihre subsistenzwirtschaftlichen Kapazitäten zu bestellen. Ursprung des Problems sind dabei vor allem dubiose Zwischenhändler, welche die periphere Lage der Region und die Isolation der regionalen Bevölkerung von der globalen Ökonomie schamlos zu ihren Gunsten ausnutzen. Dabei kaufen sie den in finanzielle Not geratenen Bauern ihre Erzeugnisse weit unter dem Weltmarktpreis ab, um die identische Ware anschließend für enormen Profit an westliche Abnehmer weiterzuverkaufen. 3) 1)

Unter anderem diese Geschäftspraktiken haben die Vanillebranche zu einem kriminell durchwirkten System gemacht. Die enorme Nachfrage der Industriestaaten und die inhärente Knappheit haben es zu einem Luxusgut erhoben, dessen Früchte in den seltensten Fällen tatsächlich vom Erzeuger getragen werden. Stattdessen müssen die Kleinbauern in der Erntephase auf ihren Feldern schlafen, um zu verhindern, dass ihnen sprichwörtlich die Früchte ihrer Arbeit gestohlen werden. Dabei sind auf beiden Seiten Kinder verwickelt: Besonders in den kleineren Familienbetrieben, die einen beträchtlichen Anteil des regionalen Vanilleanbaus ausmachen, ist es nicht unüblich, dass speziell die älteren Söhne während der Ernte und Weiterverarbeitung zum Wachdienst abgestellt werden – eine durchaus riskante Aufgabe, denn mit der kometenhaften Preisexplosion steigt auch die Skrupellosigkeit und Entschlossenheit der Diebe. Auf der anderen Seite sind es häufig Kinder und Jugendliche, die zumeist von Erwachsenen angeheuert werden, um Vanille von fremden Plantagen zu stehlen, da sie nur unregelmäßig von Sicherheitskräften durchsucht werden und weniger gefährdet sind, Ziel von Vergeltungsmaßnahmen zu werden. Doch gerade dadurch geraten viele Heranwachsende bereits früh auf die schiefe Bahn, in einigen der Vanillehochburgen machen Minderjährige über die Hälfte der Insassen in den örtlichen Gefängnissen aus. 4) 5) 6)

Nichtsdestotrotz verbreitet die Vanille einen verlockenden Duft von Wohlstand, der für weite Teile der ansässigen Bevölkerung beinahe unwiderstehlich ist. Doch vom profitablen Handel auf dem Weltmarkt sickert nur wenig bis in die Ursprünge der Produktionsketten durch. Vielmehr überwiegen die negativen Folgen der vermehrten Nachfrage für die Gesellschaft und Umwelt, da die lokale Bevölkerung versucht, sich auf konventionellem wie unkonventionellem Wege einen Anteil dieses lukrativen Geschäfts zu sichern. Sie zerstören ihre Umwelt und deren Ökosysteme, um mehr Raum für den Anbau zu gewinnen oder bedienen sich an den Ressourcen anderer. Die Vanillebranche – und mit ihr die gesamte Region Sava – hat sich in den vergangenen Jahren daher immer mehr in eine Enklave der Gesetzlosigkeit fernab jeglicher staatlicher Autorität entwickelt – ein durch und durch besorgniserregender Trend, gerade für die kommende Generation. 4) 1)

Um dieser Problematik entgegenzuwirken, existieren bereits seit einiger Zeit unternehmerische Initiativen, welche neben der Aufklärung über die Gefahren der Kinderarbeit vor allem darauf fokussiert sind, den Kleinbauern grundlegende finanzielle Stabilität durch langfristige Partnerschaften zu ermöglichen, um den unlauteren Praktiken der Zwischenhändler zuvorzukommen. Ein Beispiel für eine solche Initiative ist die „Sustainable Vanilla Initiative“ (SVI), deren Richtlinien und Handlungspraktiken unter anderem mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der madagassischen Regierung abgestimmt sind. Zu den kommunizierten Hauptanliegen des Projektes gehört unter anderem der Abbau der ausbeuterischen Strukturen, die speziell für Kinderarbeit eine beträchtliche Rolle spielen. Dennoch ist letztlich vor allem das gestiegene Bedürfnis der westlichen Gesellschaften nach „echter“ Vanille gegenüber des im Labor künstlich erzeugten und dennoch identischen Aromas in weiten Teilen für die missliche Lage der Bevölkerung im Norden Madagaskars verantwortlich. Wer dennoch den einzigartigen Geschmack von natürlicher Vanille genießen möchte, sollte daher zumindest auf fair gehandelte Vanilleerzeugnisse zurückgreifen, die eine weitestgehend lückenlose Lieferkette garantieren können. 4) 1) 7) 8)

  1. fairlabor.org: A tale of two supply chains: Child Labor in the Vanilla Sector in Madagascar; Juni 2021
  2. dol.gov: 2020 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Madagascar; zuletzt aufgerufen am 22.03.2022
  3. theguardian.com: Madagascar´s £152m vanilla industry soured by child labour and poverty; Artikel vom 08.12.2016
  4. cbsnews.com: The flavorful story of vanilla; Artikel vom 02.08.2020
  5. ecoi.net: 2019 Findings on the Worst Forms of Child Labor: Madagascar; Artikel vom 30.09.2020
  6. npr.org: Photos: Vanilla Boom is Making People Crazy Rich – And Jittery – In Madagascar; Artikel vom 15.09.2019
  7. greenbiz.com: Is sustainable vanilla the flavor of the month?; Artikel vom 12.07.2021
  8. spektrum.de: Warum Vanille gerade mehr als Silber kostet; Artikel vom 20.06.2017



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