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Wie das reichste Land Asiens myanmarische Mädchen ausbeutet

aktiv gegen kinderarbeit |  Bild:  © earthlink e.v.

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Am 13. Oktober 2017 fand man in Singapur den leblosen Körper von Ma Wain Wain. Die 23-jährige Myanmarin war aus einem Fenster im 18. Stock des Wohnhauses gefallen, in dem sie seit wenigen Wochen als Hausmädchen gearbeitet hatte. Die Behörden gehen von Selbstmord aus. Doch der echte Schock kam erst danach: Es stellte sich heraus, Wain Wain war gar nicht 23, sondern gerade einmal 16. Wie kommt ein 16-jähriges Mädchen aus Myanmar dazu, mit einem gefälschten Pass nach Singapur einzureisen und dort nur Wochen später Suizid zu begehen? 1)

Etwa jeder dritte Haushalt in Singapur beschäftigt eine Haushaltshilfe. Es sind in der Regel junge Frauen aus Ländern wie den Philippinen, Indonesien oder Myanmar. Die Dienstmädchen leben mit einer Familie unter einem Dach und sollen den arbeitenden Eltern die Lasten des Haushaltens, Kochens und der Kindererziehung abnehmen. 2)

Offiziell muss man mindestens 23 Jahre alt sein, um in Singapur als ausländisches Hausmädchen arbeiten zu dürfen. Doch der Fall von Ma Wain Wain zeigt, nicht jeder hält sich daran. NGOs, Zeitungen und Fernsehen berichten seit Jahren von minderjährigen Dienstmädchen in Singapur. Diese kommen fast immer aus Myanmar. Es sind Mädchen aus armen Verhältnissen. Nicht selten müssen sie alleine ihre Familie versorgen. Sie sind leichte Opfer für die Geschäftsmänner, die auf der Suche nach Haushaltshilfen für Singapur durchs Land ziehen. Die Vermittler versprechen den Mädchen im fernen Singapur ein Vielfaches ihres myanmarischen Einkommens. Das Alter ist dabei kein Problem, Pässe können schließlich gefälscht werden. Außerdem gelten minderjährige Arbeitskräfte häufig als fügsamer. Sogar 13-Jährige haben die skrupellosen Firmen schon versucht, nach Singapur zu schleusen. 1) 3)

Das Leben, das die Mädchen in Singapur erwartet, ist allerdings alles andere als ein Zuckerschlecken. Die ersten Monate kriegen sie gar kein Geld, denn erst müssen die Kosten für den Flug, die gefälschten Dokumente und die Vermittlung abbezahlt werden. Und selbst danach ist der Lohn erbärmlich. Denn als Angestellte in einem privaten Haushalt gibt es für sie keinen Arbeitsschutz, keinen Mindestlohn, ja oft nicht einmal einen Arbeitsvertrag. Die Bezahlung liegt zwar deutlich über der in Myanmar, aber die Hälfte wird nach Hause geschickt und vom Rest kann man sich im wohlhabenden Singapur kaum etwas leisten. 1) 4)

Das Leben der circa 250.000 singapurischen Hausmädchen ist hart, selbst dann wenn sie erwachsen sind. Laut einer Studie des Recherchenetzwerkes „Research Across Borders“ müssen sie in der Regel über 12 Stunden täglich arbeiten, rund um die Uhr verfügbar sein und oft sogar an ihrem freien Tag schuften. Viele Dienstmädchen berichten davon, wie Dreck behandelt zu werden, unter Videoüberwachung zu stehen, oder dass Familien sie als ihr Eigentum ansehen. Auch Erniedrigungen, physische Gewalt und sexueller Missbrauch sind keine Seltenheit. Nur in solch drastischen Fällen können sich die Frauen auch an den Staat wenden. Doch viele entscheiden sich selbst dann, die Situation lieber auszuhalten. Sie haben Angst, dass ihrer Familie etwas zustoßen könnte, wenn sie abhauen, bevor ihre Schuld beglichen ist. 4) 2)

Minderjährige sind besonders schnell überfordert mit der Situation. Sie haben normalerweise kaum Erfahrung mit Kochen, Putzen und Kindererziehung. Kein Wunder – sie waren ja vor Kurzem selbst noch Kinder. Hinzu kommen eine neue Sprache, hohe Anforderungen und harte Arbeitsbedingungen. Viele Familien wissen nichts vom wahren Alter ihres Hausmädchens und behandeln es folglich wie eine Erwachsene. Wenn sie doch davon wissen, ist es ihnen meistens egal. Der hohe Druck der auf den Mädchen lastet und die Behandlung durch die Familien machen ihnen das Leben in Singapur oft unerträglich. Der Fall der 16-jährigen Ma Wain Wain steht nicht alleine da. Ein Jahr nach ihrem Tod starben zwei 19-jährige myanmarische Dienstmädchen auf die gleiche Weise, vermutlich ebenfalls Selbstmord. Zuvor hatte eine 15-Jährige den Sturz aus dem neunten Stock eines Hochhauses überlebt. Sie selbst spricht von einem Unfall. 1) 3)

Wie viele Kinder in Singapur als Hausmädchen arbeiten, weiß niemand. Die Mädchen kommen schließlich mit gefälschten Dokumenten ins Land. Das singapurische Arbeitsministerium schätzt, dass es etwa 200 sind. Die Fallzahlen legen jedoch nahe, dass die tatsächliche Nummer wesentlich höher liegen dürfte. 1)

Das Arbeitsministerium sieht sich nicht in der Pflicht, mehr für diese Mädchen zu tun. Firmen und Frauen werden ja bereits regelmäßig darüber informiert, dass Hausmädchen mindestens 23 Jahre sein müssen. Die Schuld wird stattdessen Myanmar zugeschoben. Dort werden die gefälschten Dokumente schließlich ausgestellt. Und auch in Sachen Arbeitsbedingungen sieht man bei der Behörde anscheinend keinen Handlungsbedarf. Denn laut eigenen Statistiken sind fast alle Haushaltshilfen glücklich und würden den Job sogar weiterempfehlen. 5) 3) 6)

Singapur gilt als reichstes Land Asiens. Die hart arbeitende Bevölkerung hat sich über Jahrzehnte mit Fleiß und Ehrgeiz den verdienten Wohlstand erarbeitet hat – so jedenfalls die geläufige Erzählweise. Doch die Haushaltshilfen, die meistens härter arbeiten müssen als die normalen Bürger, kriegen davon nichts ab. Sie verdienen nur ein Zehntel des singapurischen Durchschnittslohnes. Gegen diese Ausbeutung scheint kaum jemand etwas unternehmen zu wollen. Hunderttausende singapurische Familien verdienen tausende Dollar im Monat und lassen ihr Dienstmädchen trotzdem für selbstverständliche Dinge wie Seife und Verpflegung bezahlen. Und der singapurische Staat sieht dem Ganzen ungerührt zu. Das ist der Staat, der international immer wieder als Paradebeispiel für eine erfolgreiche Wirtschaft genannt wird. Die Nation, die Entwicklungs- und Schwellenländern als Vorbild dienen soll. Das Land, mit dem die ganze Welt emsig Handel treibt, und dessen Sehenswürdigkeiten, Vergnügungsparks und Luxushotels jährlich von zehn Millionen Touristen besucht werden. Doch der sichtbare Wohlstand der Einen basiert in Wirklichkeit auf der unsichtbaren Ausbeutung der Anderen. 7)

 

  1. The Diplomat: Underage Maids Are Still Being Trafficked in Singapore; Artikel vom 19.02.2019
  2. CNN: Most Singapore foreign domestic workers exploited, survey says; Artikel vom 04.12.2017
  3. Al Jazeera: 101 East: Maids in Singapore: Agents in Myanmar are recruiting girls as young as 15 to work as domestic helpers in Singapore; Dokumentation vom 29.09.2016
  4. DW: Singapore domestic workers ’suffer exploitation and abuse‘; Artikel vom 28.03.2019
  5. Al Jazeera: 101 East: From Myanmar to Singapore: Why the maid trafficking continues; Dokumentation vom 02.04.2018
  6. Ministry of Manpower: Two employment agencies charged for deploying underaged foreign domestic Workers; Artikel vom 24.05.2018
  7. CNN: Most Singapore foreign domestic workers exploited, survey says; Artikel vom 04.12.2017



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