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Prekäre Wirtschaftslage stärkt Boko Haram in Nigeria

aktiv gegen kinderarbeit |  Bild:  © earthlink e.v.

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In Nigeria kamen am vergangen Dienstagmorgen bei einem Selbstmordanschlag mindestens 50 Menschen ums Leben. Der mutmaßliche Attentäter war ein Teenager. Hinter dem Anschlag steckt vermutlich die islamistische Terrororganisation Boko Haram. 1) Zuletzt verübten immer mehr Kinder und Jugendliche grausame Selbstmordattentate im Namen der Extremisten. 2)

Die Boko Haram ist eine islamistische Terrororganisation aus dem Nordosten Nigerias. Der Name „Boko Haram“ kann mit „westliche Bildung ist Sünde“ übersetzt werden. Die Terrormiliz ist vor allem in den nordöstlichen Regionen Nigerias, aber auch in den angrenzenden Staaten Niger, Tschad und Kamerun aktiv. Sie hat es zu ihrem Ziel erklärt, einen sogenannten Gottesstaat, in dem das Scharia-Recht gilt, zu errichten. 3) Seit 2009 wurden bei Anschlägen der Terroristen in Nigeria mindesten 20 000 Menschen getötet. Rund 2,6 Millionen Menschen wurden von Gewalt und Terror aus ihrer Heimat vertrieben, darunter 1,4 Millionen Kinder. 4)

In den letzten Jahren werden immer mehr Kinder und Jugendliche von Boko Haram als Selbstmordattentäter in den Tod geschickt. Laut dem UN-Kinderhilfswerks Unicef wurden seit 2014 in Nigeria, Tschad, Niger und Kamerun 117 Selbstmordattentate von Minderjährigen begangen, die meisten von ihnen waren Mädchen. Dies sei der „schlimmstmögliche Einsatz von Kindern in einem Konflikt“, sagt die UNICEF-Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika Marie-Pierre Poirier. „Diese Kinder sind in erster Linie Opfer und keine Täter.“ Boko Haram hat in Nigeria und seinen Nachbarstaaten in den letzen Jahren tausende Kinder entführt. Sie werden unter Androhung von Gewalt oder Versprechungen zum Kämpfen gebracht oder müssen andere Mitglieder der Miliz heiraten. 5)

Aber auch immer mehr Jugendliche schließen sich auf Grund der Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat der Terrororganisation an. Die Extremisten rekrutieren neue Mitglieder speziell in den armen und abgelegenen Regionen Nigerias. Eine chronische Arbeitslosigkeit und keine Aussichten auf ein gesichertes Einkommen treiben die jungen Menschen in die Fänge der Terroristen, wie eine Studie des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) zeigt. 6) Über zwei Jahre hinweg wurden knapp 500 ehemalige Mitglieder von Terrororganisationen in Afrika zu den Ursachen ihres Beitritts befragt. Es zeigt sich, dass die meisten Rekruten aus abgelegenen Grenzgebieten kommen. In diesen Regionen ist die Armutsrate sehr hoch, soziale Ausgrenzung gehört für die meisten Menschen zum Alltag. Viele ehemalige Mitglieder gaben an, die Frustration über ihre wirtschaftliche Situation hätte einen großen Einfluss auf ihre Entscheidung, sich der extremistischen Gruppe anzuschließen gehabt. 7) „Den jungen Leuten wird Arbeit und Geld versprochen. Sie denken, wenn sie sich diesen Gruppen anschließen, geht es ihnen besser, und sie können ihre Familien unterstützen“, sagt Salma Himid, von der kenianischen Menschenrechtsorganisation Haki Afrika. 6) Außerdem herrscht unter den ehemaligen Rekruten großes Misstrauen gegenüber den staatlichen Institutionen. Der UN-Studie zufolge, gehen 83 Prozent der Befragten davon aus, dass Regierungsmitglieder nur die Interessen einiger weniger beachten und 75 Prozent gaben an, den Politikern und dem Sicherheitsapparat des Staats nicht zu vertrauen. Aktionen der Regierung, bei denen Familienmitglieder oder Freunde verhaftet oder getötet wurden, hätten sich zudem auf den Beschluss, der Gruppe beizutreten, ausgewirkt.

Die Studie zeigt außerdem, dass die meisten Rekruten, entgegen verbreiteter Auffassungen, kaum religiöse Bildung erfuhren, ehe sie sich der Terrormiliz anschlossen. 57 Prozent von ihnen gaben an, religiöse Texte oft nicht zu verstehen oder sie gar nicht zu lesen. Laut der Studienautoren reduzieren sechs Jahre religiöse Bildung die Wahrscheinlichkeit, einer extremistischen Gruppe beizutreten, um 32 Prozent. 7) Khadija Hawaja Gambo, eine nigerianische Menschenrechtsaktivistin, bekräftigt im Interview mit DW: „Je weniger Kenntnisse ein Mensch über den Islam hat, desto anfälliger ist er für Ideologien terroristischer Gruppen. Leute, die kein Wissen über den Islam haben, glauben alles, was man ihnen als Islam verkauft.“ 6)

Schulische Bildung und eine stabile wirtschaftliche Situation mit gesichertem Einkommen sind folglich essentiell für die Bekämpfung der terroristischen Organisationen in Afrika. Dazu sei es nötig „die Infrastruktur auszubauen, Institutionen zu stärken und einen Weg zum wirtschaftlichen Aufschwung zu ebnen“, sagt Abdoulaye Mar Dieye, Direktor des UNDP-Afrika. Außerdem meint er, es sei dringend notwendig, in der Bekämpfung von Terrorismus den Fokus stärker auf die sozioökonomische Entwicklung zu legen8)

In Nigeria lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Vor allem in den ländlichen Gegenden ist die Bedürftigkeit besonders groß. Die Wirtschaft des Landes ist zum Großteil vom Erdöl abhängig und kaum diversifiziert. Der landwirtschaftliche Sektor ist marode, es gibt kaum Rechtssicherheit und die Menschen haben nur sehr schwer Zugang zu Finanzdienstleistungen. 9) Doch neben den innerpolitischen Schwierigkeiten tragen auch internationale Akteure zur Armut in Nigeria bei. So sind große Rohölkonzerne wie Shell immer wieder in Korruptionsgeschäfte mit der nigerianischen Regierung verwickelt. 10) Aber auch Freihandelsabkommen mit Industriestaaten, bringen für die Bevölkerung Nigerias einige Nachteile. Ein Beispiel dafür ist EPA, ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und afrikanischen Ländern. In diesem Abkommen wird festgelegt, dass sich die afrikanischen Märkte bis zu 83 Prozent für Importe aus Europa öffnen müssen. Diese Produkte können dann in Afrika sehr billig angeboten werden, was die regionalen Märkte zerstört. Die meisten Länder Afrikas können mit den großen Wirtschaftsmächten aus Europa nicht konkurrieren. 11)

Der Zusammenhang zwischen extremistischem Terror und wirtschaftlicher Lage in Nigeria und anderen afrikanischen Ländern liegt auf der Hand. Es ist wichtig, dass die Regierung nicht nur militärisch gegen die radikalen Gruppen vorgeht, sondern mit entwicklungspolitischen Mitteln den betroffenen Menschen eine Chance auf wirtschaftlichen Erfolg gibt. Hier sind neben den jeweiligen Regierungen der afrikanischen Länder auch die Industriestaaten gefragt, die mit ihren außenpolitischen Handlungen einen großen Einfluss haben.

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. FAZ: Jugendliche sprengt sich in Moschee in die Luft; Veröffentlicht am 21.11.2017
  2. Zeit Online: Islamisten missbrauchen Kinder als Selbstmordattentäter; Veröffentlicht am 12.04.2017
  3. Internationale Gesellschaft für Menschenrechte; Fakten über Boko Haram; Stand 23.11.2017
  4. Zeit Online: Mindestens 50 Tote bei Anschlag auf Moschee in Mubi; Veröffentlicht am 21.11.2017
  5. UNICEF: Boko Haram: Gezielte Gewalt gegen Kinder; Veröffentlicht am 12.04.2017
  6. Deutsche Welle: Was treibt junge Muslime in Afrika in den Dschihadismus?; Veröffentlicht am 12.09.2017
  7. UNDP: Journey to extremism in Afrika; Stand: 23.11.2017
  8. UNDP: Journey of young Africans into violent extremism marked by poverty and deprivation ;Veröffentlicht am 07.09.2017
  9. BMZ: Nigeria. Situation und Zusammenarbeit; Stand 23.11.2017
  10. BBC: Shell admits dealing with money launderer; Veröffentlicht am 11.04.2017
  11. SWR: Wie die EU ihre wirtschaftlichen Interessen gegenüber Afrika durchsetzt; nicht mehr verfügbar



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