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Kinderarbeit auf der Flucht – wenn Kinder zu Alleinernährern werden

aktiv gegen kinderarbeit |  Bild:  © earthlink e.v.

aktiv gegen kinderarbeit | Bild: © earthlink e.v.

Um aus Kriegsgebieten fliehen zu können, verkaufen Familien oft ihren ganzen Besitz. Auf der Flucht müssen auch Kinder arbeiten, um zum Unterhalt beizutragen – und werden ausgebeutet.

Seit dem Beginn des Syrienkrieges im Jahr 2011 sind rund 13,5 Millionen Syrer auf der Flucht. Gut die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Die große Mehrheit der Flüchtlinge verlässt die eigenen Landesgrenzen nicht, doch Millionen fliehen auch in umliegende Länder wie die Türkei, den Libanon und Jordanien. Auch im Iran und in Europa gibt es ein erhöhtes Flüchtlingsaufkommen. Da die meisten Asylsuchenden sich in ärmeren Ländern befinden, die weit mehr mit der aktuellen Lage überfordert sind als Europa und bei weitem nicht genug Ressourcen haben, um die Flüchtlinge zu versorgen, bleibt Flüchtlingskindern oft keine andere Wahl, als zu Familienernährern zu werden. Laut einer Umfrage der Kinderhilfsorganisation „Terre des Hommes“ (TdH) sehen sich über die Hälfte der befragten Kinder dazu gezwungen, täglich mindestens sieben Stunden zu arbeiten. Vor allem Jungen müssen in Fabriken und auf Baustellen körperliche Arbeiten verrichten, die viel zu schwer für die teilweise erst Fünfjährigen sind. Zudem werden die Kinderarbeiter maßlos ausgebeutet und arbeiten oft für nur drei bis sechs Euro am Tag, wobei ein Arbeitstag bis zu 20 Stunden lang sein kann. 1)

Nur wenige Flüchtlinge erhalten eine Arbeitserlaubnis in ihrem Zufluchtsland. Um Geld zu verdienen, bleibt ihnen nur die Schwarzarbeit. Doch weil Kinder und Jugendliche für weniger Geld arbeiten und leichter zu handhaben sind, sind sie bei Arbeitgebern weit beliebter als ihre Eltern. Laut einem umfassenden Bericht der Kinderhilfsorganisationen „UNICEF“ und „Save the Children“ im vergangenen Jahr, sind die Hälfte der syrischen Flüchtlingshaushalte in Jordanien auf das Einkommen ihrer Kinder angewiesen. Oft sind diese sogar Alleinverdiener. 2) Weil die Kinder arbeiten, können sie nicht zur Schule gehen und haben somit kaum Chancen, sich später einmal ein besseres Leben aufzubauen. Hinzu kommt noch, dass die Kinder, die durch Krieg und Flucht bereits schwer traumatisiert worden sind, zusätzliche körperliche und psychische Schäden durch ihre Arbeit davontragen. So ist beispielsweise das Risiko für Kinder in libanesischen Zementfabriken sehr hoch, sich durch die dort entstehenden Gase und den Feinstaub eine schwere Lungenerkrankung zuzuziehen. 3)

Die Kinderarbeit unter Flüchtlingen betrifft Mädchen wie Jungen, doch bei der Art der Arbeit gibt es große Unterschiede. Jungen verrichten hauptsächlich schwere körperliche Arbeiten: Sie arbeiten in Steinbrüchen, auf Baustellen, als Reinigungskräfte und auf der Straße. Sie werden aber auch als Soldaten rekrutiert, teilweise im Alter von sieben Jahren. 1)

Mädchen arbeiten in Haushalten, Schönheitssalons oder müssen heiraten. Beispielsweise  gibt es im Iran sogenannte „temporäre Ehen“, die es Männern ermöglichen, Frauen auf Zeit zu heiraten, durchaus auch mehrere gleichzeitig. Flüchtlingsfamilien in großer finanzieller Not können ihre Töchter für eine im Ehevertrag festgelegte Zeit zwischen 30 Minuten und 99 Jahren an Männer verheiraten, die der Familie der Braut eine Mitgift zahlen müssen. 4) Da Mädchen im Iran schon mit 13 Jahren verheiratet werden können und die sexuelle Beziehung zum Ehemann im Ehevertrag genau festgelegt werden kann, stellt die Zeitehe eine Art der Kinderprostitution dar. Zu Recht bezeichnen TdH-Experten die temporäre Ehe als eine der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. 1)

Dass die europäische Flüchtlingspolitik dazu beiträgt, dass der Anteil der Kinderarbeiter unter den Flüchtlingen weiter zunimmt, ist wohl ein besonderes Armutszeugnis für die EU. Durch die mangelnde Finanzierung von Hilfspaketen für Flüchtlinge verschlechtert sich deren Situation zunehmend. Je mehr Flüchtlingsfamilien das Geld ausgeht, desto mehr Kinder müssen ihre Familien finanziell unterstützen. Durch die Schließung der Balkanroute verzögert sich die Weiterreise der Flüchtlinge, sie müssen länger als erwartet vor den Grenzen warten und haben schnell kein Geld mehr für Lebensmittel und medizinische Versorgung. Mittlerweile sind Kinderhilfsorganisationen auf die ersten Fälle von Kinderarbeit in Idomeni und Mazedonien gestoßen. 1)

So klopft das Elend, das die westliche Abschottungspolitik in der Flüchtlingskrise schafft, einmal mehr an die europäische Tür: anstatt Flüchtlingslager und Entwicklungsländer mit sehr hohem Flüchtlingsaufkommen in großem Stil finanziell zu unterstützen und somit auch in die Bildung und psychologische Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu investieren, ziehen wir eine verlorene Generation heran. 3)

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. sueddeutsche.de: Wie Flüchtlingskinder ausgebeutet werden; 8. Juni 2016
  2. spiegel.de: Syrische Flüchtlingskinder: Schon Sechsjährige müssen arbeiten; 02. Juli 2015
  3. spiegel.de: Syrische Flüchtlinge im Libanon: Erst verlieren sie ihre Heimat, dann ihre Kindheit; 26. Mai 2015
  4. zeit.de: Zeitehe im Iran: Willkommen im Heiratsclub; 19. März 2015



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