Jeder dritte Grabstein in Süddeutschland ist von Kinderhand bearbeitet. Deutschlandweit ist es sogar jeder zweite. Um diese erschreckend hohen Zahlen etwas einzudämmen, hatte die Stadt Stuttgart eine Nachweispflicht für Grabsteine aus Ländern, in denen Kinderarbeit üblich ist, in ihre Friedhofsatzung aufgenommen. Diese Regelung hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim jedoch mittlerweile für nichtig erklärt.
Ein regionaler Steinmetz könne nicht dafür verantwortlich sein, wie die Steine mit denen er arbeitet, hergestellt werden. Schließlich geschehe das in einem fernen Kontinent, der Tausende von Kilometern entfernt sei. So lautet die Stellungnahme von Sybille Trawinsky, der Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Steinmetze. Private Organisationen, die die Produktionsstätten kontrollieren und Zertifikate für kinderarbeitsfreie Natursteine ausstellen, sieht sie nicht als vertrauenswürdig an. Diese Einstellung teilt Trawinsky mit dem Verwaltungsgerichtshof. Umso unverständlicher ist es, dass keine dieser Organisationen bei den Verhandlungen vorsprechen durfte, um ihre Kontrollkriterien offen zu legen. Benjamin Pütter, der Vorsitzende des Vereins „Xertifix“ empfindet die Argumentation von Gericht und Steinmetzen als äußert einseitig. Schließlich sei seine Organisation von label-online ausdrücklich empfohlen worden. Die Plattform würde zudem von den Bundesministerien der Justiz, für Verbraucherschutz und für Ernährung und Landwirtschaft gefördert.
Da private Kontrollstellen wie Xertifix selbst nicht kontrolliert werden, zweifeln viele Steinmetze an der Aufrichtigkeit der Organisationen. Sie fordern hingegen staatliche Gutachter für kinderarbeitsfreie Natursteine. Ob dies nur ein Vorwand ist, die Beitragsleistungen für ein Zertifikat zu umgehen, ist bisweilen noch unklar. Eine staatliche Zertifizierung ist jedoch noch nicht absehbar. Es wurden bereits Versuche von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unternommen, ein ähnliches Projekt für die Textilindustrie zu starten. Diese waren aufgrund der komplexen und schwer nachvollziehbaren Wertschöpfungskette bislang nicht von Erfolg gekrönt. Die staatliche Zertifizierung von Natursteinen könnte sich ähnlich zögerlich gestalten.
Für die verantwortungsbewussten Verbraucher bedeutet dies, dass sie sich vorerst nur an Steinmetze wenden können, die freiwillig zertifizierte Steine anbieten, oder dass sie sich bewusst für europäische Steine entscheiden. 1) Es liegt jetzt an den Steinmetzen, sich ihre Verantwortung für das Wohl der Kinder einzugestehen. Nach dem Motto „aus den Augen aus dem Sinn“ zu handeln und die Entfernung als Vorwand zu benutzen, sich nicht um die Herstellung ihrer Steine kümmern zu können, ist in der Zeit der Globalisierung geradezu lachhaft. Steinmetze, die sich nicht für die Produktionsbedingungen ihrer Natursteine interessieren und stattdessen nur um ihren Gewinn besorgt sind, unterstützen die Ausbeutung von Kindern. Ob sie dies aus Unwissenheit oder mit Absicht tun, ändert für die Kinder in den Steinbrüchen wenig.
- Stuttgarter Zeitung: Die Suche nach dem politisch korrekten Stein – aufgerufen am 24.6.2015 ↩