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„Wir hatten nicht gehört, dass Frauen gleichbehandelt werden müssen.“ – die Trokosi-Tradition

Weltweit zählt Ghana im entwicklungspolitischen Bereich als Vorbild für politische und wirtschaftliche Reformen sowie für eine schnelle Entwicklung. Doch in den ländlichen Gegenden im südlichen Teil des Landes herrscht noch eine jahrhundertealte Tradition vor: die Trokosi-Praxis. Bei dieser Traditionsform handelt es sich um eine sklavenähnliche Haltung von jungen Mädchen, die meist im Alter von fünf bis zehn Jahren in den Schrein eines Priesters gebracht werden, um Unglück von ihrer Familie und ihren Verwandten abzuwenden, oder die Götter bezüglich bestehender Sünden gnädig zu stimmen. Ohne eine Chance auf Schulbildung oder Bezahlung verbringen die Mädchen einige Jahre oder ihr gesamtes Leben in einem Schrein. 1) Diese alte Praxis wird auch in Teilen von Togo und Benin ausgeübt, ist in allen drei Ländern allerdings gesetzlich verboten und ist in Ghana mit einer Haftstrafe von drei Jahren belegt. Bereits 1998 wurde in Ghana das Gesetz erlassen, das diese Sklavenform verbietet, doch seitdem wurde noch kein einziger Priester oder Zugehöriger verhaftet, obwohl noch zwischen 4000 und 6000 ghanaische Mädchen als Trokosi gehalten werden. 2)

Enyonam war bereits 18, als ihre Eltern sie zu dem Schrein eines Priesters, einige Autostunden von ihrem Heimatdorf entfernt, brachten, um für die Sünden einer nahen Verwandten zu büßen.

Zur Aufnahme in den Schrein musste sie sich all ihrer Kleider entledigen, da diese für ein früheres Leben standen. Von nun an arbeitet sie viele Stunden täglich hart im Haus und auf dem Feld, nur bekleidet mit einem Tuch zur Bedeckung ihres Intimbereichs und einer Kordel um den Hals. Ungefähr 200 weitere Trokosi verrichteten täglich, ab vier Uhr in der Früh, mit ihr die Arbeit. Doch keine Verbundenheit, sondern ärgste Feindschaft herrschte zwischen den jungen Mädchen und Frauen, denn täglich loderte der Kampf um Nahrung und Aufmerksamkeit des Priesters. Trotz dessen Schläge mit seiner Peitsche ersuchte jede ständig seine Aufmerksamkeit, denn diese war verbunden mit etwas Essen und Zuneigung. Sechs Kinder gebar Enyonam in ihre Zeit als Trokosi und ihre Kinder wuchsen in denselben Sklavenverhältnissen auf wie sie. Der Priester und Vater sorgte in keiner Weise für seine vielen Kinder und lies ihnen auch keine Fürsorge oder Zuneigung zu Teil werden. Trotz des starken Bedürfnisses, von dem Schrein wegzulaufen, blieb Enyonam in der Angst, sie könnte einen Fluch oder Schande auf ihre Familie ziehen.

Lange Verhandlungen zwischen der Organisation „International Need Ghana“ (IDG) und dem Priester sowie Dorfältesten führten schlussendlich dazu, dass die 200 Trokosi des Priesters befreit wurden, unter ihnen Enyonam. Doch in ihrem Heimatdorf war die junge Frau nicht mehr willkommen, vielmehr wurde sie von ihrem Vater aus Angst verstoßen, eine Versöhnung mit der Tochter könnte zu großem Unheil führen. Mittlerweile arbeitet Enyonam als Schneiderin, doch es fällt ihr schwer, Kontakte und Freundschaften mit jemandem aufzubauen, denn jedes Mal, wenn jemand erfährt, dass sie eine Ex-Trokosi ist, bekommen die Ghanaer Angst.

Ohne die Organisation IDG würde die Tradition zum aktuellen Zeitpunkt vermutlich noch viel stärker ausgeprägt sein. Die Trokosi-Praxis fungiert als Schnittmenge zwischen der Suche nach Gerechtigkeit und Vergebung durch einfache Dorfbewohner und der sexuellen Befriedigung sowie dem Nutzen der Arbeitskräfte durch den Priester. Der spirituelle Beigeschmack führt dazu, dass diese Tradition genauso schwer auszumerzen ist, wie die weibliche Beschneidung, da sie tief in der Identität und Kultur der Ewe- Bevölkerung des südlichen Ghanas verankert ist. Die Priester bezeichnen es als Segnung der Mädchen, wenn diese für sie dienen dürfen, nach Art. 4 der AEMR handelt es sich um einen schweren Verstoß gegen Menschenrechte. Diese Konfrontation spiegelt den Graben zwischen einem modernen und einem traditionellen Ghana wieder. Ein Priester beschreibt die Situation folgendermaßen: „They told us Trokosi was against the law and that women were human beings and needed to be treated as equal. We hadn’t heard that women needed to be treated as equal.” 2) (Wir haben nicht gehört, dass Frauen gleichbehandelt werden müssen.)

Doch die Hoffnung, dass diese Tradition nicht mehr allzu lange bestehen bleibt ist groß. Auch in den meisten ländlichen Gegenden bestehen mittlerweile Schulen, die jüngste Generation wird über ihre Rechte aufgeklärt und kommt in den Kontakt mit der Welt außerhalb ihres Dorfes. Bildung und Aufklärung führen hoffentlich dazu, dass diese Generation gegen ein Leben als Sklavin eines Priesters aufbegehrt. 2)

  1. Wikipedia: Trokosi – abgerufen 11.10.2013
  2. TRUST: Virgin wives of the fetish Gods – Ghana’s trokosi tradition – abgerufen 11.10.2013



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