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Kindergewerkschaften in Bolivien – Der Kampf für eine gesetzliche Regelung von Kinderarbeit

aktiv gegen kinderarbeit |  Bild:  © earthlink e.v.

aktiv gegen kinderarbeit | Bild: © earthlink e.v.

Der 14-jährige Edwin ist eines von ca. 1.000 Kindern, die in Boliviens größter Mine ‚Cerro Rico’ arbeiten. Insgesamt arbeiten in Bolivien schätzungsweise eine knappe Million Kinder in Minen, auf Plantagen und Feldern, in Bussen, auf den Märkten und auf den Friedhöfen. 1) Ein Verbot der Kinderarbeit möchten die Kinder allerdings nicht. Im Gegenteil haben sich bereits zehntausende Kinder in Gewerkschaften zusammengeschlossen, um für ihr Recht auf Arbeit zu kämpfen.

Was sich zunächst seltsam anhören mag, muss differenziert betrachtet werden. Bolivien ist das ärmste Land Südamerikas und ein Großteil der Bevölkerung ist von Armut betroffen. Armut ist auch in Bolivien wie in vielen anderen Ländern die Hauptursache für Kinderarbeit. Die Familien sind häufig auf den Verdienst der Kinder angewiesen, da das Haushaltseinkommen ansonsten nicht ausreicht. So ist auch Edwin trotz seines jungen Alters bereits der Hauptverdiener in seiner Familie und dafür verantwortlich seine Geschwister und seine Mutter zu ernähren. 2) Auch für Schulbücher steht ohne eigenes Einkommen der Kinder meist kein Geld zur Verfügung. In Bolivien gehen viele Kinder trotz langer Arbeitsschichten in die Schule.

Solange es diese Armut gibt, ist Kinderarbeit unerlässlich, argumentieren die Vertreter der Vereinigung arbeitender Kinder ‚UNATSBO – La Union Nacional de Ninos, Ninas y Adolecentes Trabajadores de Bolivia’. „Bekämpft die Armut und nicht die Kinderarbeit“, lautet eine beliebte Parole der Kindergewerkschaften. 3) Ein Verbot der Kinderarbeit, das von vielen internationalen Organisationen wie der International Labour Organization ILO weltweit gefordert wird, gibt es in Bolivien nicht mehr. Ein erster Erfolg der Kindergewerkschaften. In der bolivianischen Verfassung steht nun nicht mehr „Kinderarbeit ist verboten“, sondern „Die Ausbeutung von Kindern ist verboten“. 4)

Die Ausbeutung der Kinder, die oft in direktem Zusammenhang mit Kinderarbeit steht, ist das Hauptmotiv für das Engagement der Kinder, einen Gesetzesentwurf für das neue Arbeitsrecht in Bolivien mitzugestalten. Solange Kinderarbeit illegal ist, können auch keine Arbeitsrechte durchgesetzt oder Mindestlöhne etabliert werden. Die Kinder bleiben der Ausbeutung durch ihre Arbeitgeber ausgeliefert. 5) Besonders die Arbeit in den Minen und auf Plantagen ist extrem anstrengend und gefährlich. Tödliche Unfälle sind keine Seltenheit. Die Minenschächte sind häufig in einem schlechten Zustand, Atemwegserkrankungen sind eine Folge der schlechten Luft und technische Hilfsmittel stehen kaum zur Verfügung. 6) Auf den Plantagen arbeiten Kinder ohne Schutzkleidung mit Pestiziden und teilweise über 12 Stunden unter großer körperlicher Anstrengung. Als Bezahlung erhalten sie am Ende des Tages umgerechnet nur ein paar Euros oder noch weniger. 7)

Viele Kinder wollen arbeiten, aber nicht unter derartigen Bedingungen. Die Ziele der Kinder sind eine bessere Bezahlung, Arbeitszeiten, die einen Schulbesuch ermöglichen, sowie dem Alter angemessene Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen. 3) In Bolivien möchten die Kindergewerkschaften auf Veranstaltungen unter anderem mit einem eigenen Infostand Aufmerksamkeit für ihre Sache gewinnen. Sie wünschen sich dabei auch, dass Hilfsorganisationen und andere internationale Organisationen ihre Haltung überdenken, Kinderarbeit kategorisch abzulehnen. 8) Die Kinder in Bolivien haben die Erfahrung gemacht, dass Hilfe nicht langfristig bei ihnen ankommt. Viele Kinder sind zudem stolz auf ihre Arbeit und die große Selbstständigkeit trotz jungen Alters. Schulbücher, Kleidung, Essen und damit die Möglichkeit eine Schule zu besuchen, konnten sie sich selbst finanzieren. 5)

Organisierte, teils internationale Zusammenschlüsse arbeitender Kinder gibt es nicht nur in Bolivien sondern auch in den anderen südamerikanischen Ländern sowie in Afrika und Asien. 9) In vielen ärmeren Ländern setzen sie sich dafür ein, bereits im jungen Alter, unter fairen Bedingungen Geld zu verdienen und damit der Armut ein bisschen entkommen zu können. 10) In Bolivien sind diese Gewerkschaften aber besonders gut organisiert und können auf eine langjährige Geschichte zurückgreifen. Sowohl für die einzelnen Regionen als auch für die unterschiedlichen Arbeitsbereiche, in denen Kinderarbeit üblich ist, gibt es eigene Unterabteilungen der landesweiten Vereinigung UNATSBO. 11)

Die Bemühungen der Kindergewerkschaften, die auch dazu geführt haben, dass Kinderarbeit in Bolivien laut Verfassung nicht mehr verboten ist, lösen sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Auf der einen Seite stehen die grundsätzliche Kritik an Kinderarbeit und die Befürchtungen, dass eine Erlaubnis von Kinderarbeit die Ausbeutung zusätzlich fördert. Auf der anderen Seite ist anzumerken, dass Kinderarbeit unter gewissen Voraussetzungen auch zur Verbesserung der Situation in den von großer Armut betroffenen Ländern führen kann. Es gibt bereits erste Vertriebskanäle, die von Kindern fair produzierte Artikel anbieten. Hier werden der Gedanke eines fairen Handels und Kinderarbeit in Einklang gebracht, was zunächst für große Entrüstung sorgte und zu einem Boykott der entsprechenden Importfirma in Italien führte. 12) Nach intensiver Diskussion werden derartige Produkte in Italien in über 100 Weltläden angeboten und auch in Deutschland erlaubt die Konvention der Weltläden Kinderarbeit, wenn besondere Kriterien, vor allem der Zugang zu Schule und Ausbildung, eingehalten werden und Alternativen fehlen. 13) Auch bei Fairtrade wird zwischen arbeitenden Kindern, die bei gleichzeitigem Schulbesuch nicht durch gesundheitliche und seelische Belastungen beeinträchtigt werden, und ausbeuterischer Kinderarbeit unterschieden. 14)

Dass sich die Opfer der Kinderarbeit selbst für deren Berechtigung einsetzen, erscheint paradox. Es zeigt allerdings auch, dass Kinderarbeit nicht als einheitliches Phänomen gesehen werden kann, besonders wenn sich die Rahmenbedingungen in Entwicklungsländern von entwickelten Ländern unterscheiden und weit verbreitete Armut einen anderen Ausweg unmöglich macht. Das Engagement der Kindergewerkschaften für ein Recht auf Arbeit darf aber keinesfalls missbraucht werden, um Kinderarbeit an sich zu rechtfertigen. In der Realität entspricht Kinderarbeit nur selten den Forderungen der Kinder von UNATSBO. Kinder werden als Arbeitskräfte ausgebeutet, arbeiten bei sehr langen Arbeitszeiten unter miserablen Bedingungen und werden keineswegs gerecht entlohnt. Ein Schulbesuch ist nicht möglich und gesundheitliche Beeinträchtigungen bis hin zu Misshandlungen sind zu erwarten.

Fußnoten (Hinweise, Quellen, Links)

  1. Child Workers of Bolivia, Unite! – Foreign Policy
  2. Child Workers of Bolivia, Unite! – Foreign Policy
  3. In Latin America, Looking at the Positive Side of Child Labor – TIME World
  4. Eine Frage der Ehre – Elisabeth Weydt in enorm Nr.5 / 2012, S.50
  5. Eine Frage der Ehre – Elisabeth Weydt in enorm Nr.5 / 2012, S.50
  6. Young Bolivians on working in one of the world’s most dangerous minesUNICEF
  7. Bitter lives of Bolivia’s child workers – BBC News
  8. Eine Frage der Ehre – Elisabeth Weydt in enorm Nr.5 / 2012, S.53/54
  9. Die Kinderbewegungen – ProNATs e.V.
  10. Lasst uns doch in Ruhe arbeiten! – Bundeszentrale für politische Bildung
  11. Eine Frage der Ehre – Elisabeth Weydt in enorm Nr.5 / 2012, S.51
  12. Kinder im Fairen Handel – ProNATs e.V.
  13. Konvention der Weltläden – Kriterien für den Fairen Handel der Weltläden – Weltladen-Dachverband
  14. Fairtrade hilft im Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit – Fairtrade



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